Juden und Emanzipation

In den deutschen Ländern verbesserte sich die Situation der Juden im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend. Als 1871 das Deutsche Reich mit Berlin als Hauptstadt gegründet wurde, wurden Juden rechtlich gleichgestellt und hatten damit (zumindest auf dem Papier) ihre volle Emanzipation erreicht. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinden gab es Veränderungen. Die große Mehrheit der deutschen Juden schloss sich Reformbestrebungen an, nur eine Minderheit hielt an der strengeren, „orthodox“ genannten Richtung fest.

Die Israelitische Kultusgemeinde München („israelitisch“ bezieht sich nicht auf den Staat Israel, sondern auf die Religion und ist hier gleichbedeutend mit „jüdisch“) konnte 1887 eine große Hauptsynagoge hier an der Herzog-Max-Straße Ecke Maxburgstraße errichten, in der die Gottesdienste nach dem liberalen Ritus gefeiert wurden. Der Architekt Albert Schmid ließ sie aus unverputztem Backstein erbauen, sodass sie optisch mit der Frauenkirche korrespondierte.

Wenn man damals auf die Geschichte zurückblickte, so war der lange Weg der Juden in Europa hin zur Gleichberechtigung mühsam und leidvoll verlaufen. Aber  nun, so konnte man meinen, würde Antisemitismus als eine Verirrung aus dem Mittelalter bald überwunden sein, und man würde als Deutsche jüdischen Glaubens akzeptiert werden, die als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft zu deren Kultur, Wohlstand und Frieden beitragen.

Vernichtung

Doch es kam anders. Als 1937 der 50. Jahrestag der Synagoge begangen wurde, war nichts Gutes mehr zu erwarten. Ein Jahr später war sie beseitigt. Am Abend des 7. Juni 1938 fuhr Hitlers schwarzer Mercedes an der Synagoge vorüber. Am nächsten Tag wurde dem Vorstand der Gemeinde vom Innenministerium erklärt, die Synagoge müsse verschwinden – der „Führer“ wolle sie nicht mehr sehen. Am Abend beging die Gemeinde einen letzten Abschiedsgottesdienst und am folgenden Morgen, 9. Juni, wurde mit dem Abbruch begonnen. Der Termin wird kein Zufall gewesen sein. In München tagte eine Konferenz des Deutschen Rabbinerverbandes, sodass Rabbiner aus dem ganzen Deutschen Reich Zeugen wurden, wie die erste Synagoge in Nazideutschland beseitigt wurde.

Exakt fünf Monate später wurden in ganz Deutschland Synagogen in Brand gesteckt. In München betraf dies die kleine Ohel-Jakob-Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße, die der orthodoxe Teil der Gemeinde errichtet hatte. Sie brannte vollständig aus. Die Ruine musste daraufhin auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgetragen werden. Eine weitere Synagoge in der Reichenbachstraße war erst 1931 erbaut worden. Sie wurde vollkommen verwüstet, konnte aber nicht abgebrannt werden, da sie verschachtelt als Rückgebäude zwischen anderen Gebäuden stand.

In jener Nacht wurde die Zerstörung von Synagogen und jüdischem Besitz, die massenhafte Inhaftierung und offene Gewalt gegen Juden in ganz Deutschland zum Auftakt für die sogenannte „Endlösung“ – das Bestreben des nationalsozialistischen Deutschland, Juden ungeachtet ihres Alters, Geschlechts, Gesinnung usw. – einfach nur aufgrund ihrer Abstammung – möglichst vollständig zu ermorden. Das bezeichnen die Begriffe Holocaust (griechisch) oder Schoah (hebräisch). Die Nacht selbst ging als sogenannte „Reichskristallnacht“ in die finstersten Kapitel der deutschen Geschichte ein, weil die Straßen übersät waren mit den Scherben zertrümmerter Fensterscheiben. Manchmal wird dafür der neu geprägte Begriff „Pogromnacht“ verwendet.

Neubeginn

Der Standort der abgerissenen Hauptsynagoge blieb lange Zeit unbebaut. Erst 2003 wurde er für einen Erweiterungsbau des Kaufhauses Oberpollinger verkauft, und auf diese Weise der Bau der neuen Hauptsynagoge am St.-Jakobs-Platz teilweise finanziert. Für sie wurde der Name Ohel Jakob („Jakobs Zelt“), der zum Standort am St.-Jakobs-Platz gut passt, wieder aufgegriffen, weil die Israelitische Kultusgemeinde (mit knapp 10.000 Mitgliedern) heute überwiegend orthodox geprägt ist. Daneben besteht heute eine wesentlich kleinere Liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom (d.h. „Haus des Friedens“) mit ca. 500 Mitgliedern, die den Bau einer eigenen Synagoge im Stadtviertel Lehel anstrebt. Das Liberale Judentum unterscheidet sich heute vom Orthodoxen Judentum durch eine (nach eigener Sicht) zeitgemäße Auslegung der religiösen Quellen. In den liberalen Synagogen sitzen Männer und Frauen nicht mehr getrennt und Frauen können Rabbinerinnen werden.

Symbole

Der Gedenkstein stellt symbolisch einen Eckstein der abgerissenen Synagoge wieder her. Er zeigt jüdische Symbole: den Davidsstern (Magen David), die Menora (siebenarmiger Leuchter aus dem Tempel von Jerusalem, das älteste Symbol des Judentums) und die beiden Tafeln vom Sinai mit den Anfangsworten der Zehn Gebote aus der Tora. Ebenfalls in Hebräisch sind einige Verse aus dem 74. Psalm eingraviert. Nach einer Sitte, die sonst für jüdische Grabsteine üblich ist, legen Besucher oft kleine Steine auf dem Gedenkstein ab, als Zeichen der Erinnerung. Am Gedenkstein finden jährlich am 9. November Namenlesungen von in der Schoah ermordeten Jüdinnen und Juden statt.